Festrede zum 1. August unter dem Motto
„Der verlorene Kampfgeist unserer Vorfahren"
Zitiert man Hans Schriber aus dem "Weisses Buch zu Sarnen von 1470", so soll auf der Rütliwiese am Abhang des Seelisberges am linken Ufer des Vierwaldstättersees der Stoupacher zu Schwyz, einer der Fürsten zu Uri und der aus Melche von Unterwalden, einander Treu und Wahrheit geschworen haben, sowie ihr Leben und ihr Gut zu wagen, um sich der fremden Herren zu erwehren. Wie wir alle wissen, hat sich dieser erste Schritt eines Staatenbundes zum Schweizerischen Bundesstaat im Jahr 1848 mit heute 26 Kantonen entwickelt.
1992 hat sich in Europa dieses vor rund 727 Jahren seinen Anfang genommene damalige schweizerische Ereignis wiederholt, indem sich 6 Länder vor 26 Jahren zu einem Staatenverbund vereint haben, um gegen fremde Mächte und deren imperialistischen Wirtschaftsgelüste besser gewappnet zu sein, woraus sich, wie wir alle ebenfalls wissen, die heutige EU mit 28 Mitgliedstaaten entwickelt hat.
Also zwei identische Geschichten, die nur eines zum Ziel haben, nämlich gemeinsam stärker gegen fremde Einflüsse auftreten zu können, und das eigene Wohlergehen gemeinsam zu vermehren. Eigentlich müssten die Schweiz und die EU einander gegenseitigen Respekt für ihre individuellen Errungenschaften zollen. Aber das Gegenteil ist der Fall. Es hat sich so eine Art "Missgunst-Liebe" entwickelt, welche darin gipfelt, dass man sich gegenseitig mit formalistischen Sturheiten das Leben schwermacht. Hat dies etwas mit dem Kampfgeist unserer Vorfahren zu tun, oder ist es einfach nur Dummheit und das Ausblenden von Realitäten?
Ein deutsches Sprichwort besagt: "Liebe deinen Nachbarn, aber reisse den Zaun nicht ein."
Genau das hätten wohl unsere schlauen Eidgenossen-Vorfahren getan. Im eigenen Lande um den Zusammenhalt und einen einheitlichen Auftritt gegenüber anderen Mächten gekämpft, und im Umgang mit den Nachbarn den prosperierenden Handel sowie gemeinsame friedliche Taten angepackt. Und was tun wir zeitgenössische Schweizerinnen und Schweizer im 21. Jahrhundert hier und heute? Wir zerfleischen uns selbst in der Darstellung, wer wohl die besseren Schweizer sind und das Beste für uns alle wollen. Wir ziehen nicht am selben Strick, nur um stur auf seinen Argumenten sitzen bleiben zu können und nicht eingestehen zu müssen, dass sich vielleicht die Probleme heute ganz anders als gestern darstellen.
Unsere Vorfahren hätten wohl ihren Kampfgeist nicht an die Rechthaberei vergeudet, sondern für die nachkommenden Generationen die beste Ausgangslage zur Existenzsicherung von Land und Leute in Unabhängigkeit und Freiheit gekämpft. In die heutige Zeit umgemünzt heisst das, wir brauchen Vollbeschäftigung, wir brauchen Nachbarn die mit uns Handel betreiben und gemeinsam globale Probleme angehen, wir brauchen als Kleinstaat Rechtssicherheit und den internationalen Schutz, wo Verträge eingehalten werden. Gleichzeitig müssen wir unseren eigenständigen Weg mit unserer direkten Demokratie souverän ausserhalb einer EU oder eines anderen Staatenverbundes gehen. Dieses Ziel nicht aus den Augen zu verlieren braucht Stärke, Kraft und ist eine Willensfrage. Ideologische Bretter vor dem Kopf sind dazu nicht hilfreich.
(Mahatma Gandhi) „Stärke wächst nicht aus körperlicher Kraft - vielmehr aus unbeugsamen Willen."
Es braucht den Willen zu zuhören und die Fakten nicht zu verdrehen oder zu negieren. Es braucht den Willen vorgefasste Meinungen auch einmal fallen lassen zu können und mutig ein Wagnis für die Zukunft einzugehen. Es braucht den Willen, nicht nur egoistisch an sich selbst zu denken und zu glauben, man habe ja sein eigenes Heu bereits eingebracht. Es braucht den Willen über den Tellerrand hinaus zu denken, und auch unseren heute jungen Familien eine Schweiz hinterlassen zu wollen, in der sie weiter an unserem Wohlstand bauen können, und diesen nicht in wenigen Jahren verlieren werden.
Aktuell sind wir mit diesen Fragestellungen in der Beziehung zur EU und in den Verhandlungen für einen künftigen institutionellen Marktzugang bis auf die Knochen gefordert. Denn es geht um viel, vor allem für die Schweiz. Wer sich seriös mit den Fakten beschäftigt der muss erkennen, dass unsere bilateralen Verträge ihr Ablaufdatum erreicht haben, und die Schweiz ohne ein institutionelles Marktzugangsabkommen auf dem Abstellgeleis landen wird. Es ist heute unbestritten, dass unser Wohlstand eng mit den Beziehungen zur EU zusammenhängt. Hochschulstudien von Basel und Zürich kommen zum Schluss, dass wenn wir mit der EU nur auf der Basis eines Freihandelsabkommens Wirtschaftsbeziehungen pflegen, also der bilaterale Weg Geschichte ist, dann wird uns jährlich 0,7 % BIP verloren gehen, oder mit anderen Worten, jeder Schweizerin und jedem Schweizer werden Jahr für Jahr 4'500 Franken in der Tasche fehlen. Das würde sich katastrophal auf unsere Volkswirtschaft auswirken. Dazu käme, dass viele Exportfirmen einen gewichtigen Teil ihrer Produktion und Arbeitsplätze in den EU-Raum verlagern müssten. Es wird geschätzt, dass gesamthaft zwischen 200'000 bis 300'000 Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen. Das Schweizer Gewerbe verkauft etwa 45 % seiner Dienstleistungen und Produkte in die EU. Gleichzeitig müssen zur Herstellung von Schweizer Produkten rund 60 % der Zuliefermaterialien aus der EU importiert werden. Die Schweizerische Landwirtschaft hat vor den bilateralen Verträgen für rund 4 Mrd. Franken Produkte in die EU verkauft. Mit den bilateralen Verträgen sind es heute über 10 Mrd. Franken. Das Zukunftszenario ist einfach voraus zu sehen. Die Arbeitslosigkeit würde steigen, der Konsum würde einbrechen, Steuereinnahmen und Beiträge an die Sozialversicherungen würden ausfallen. Das Ergebnis wäre eine Schweiz, die ihren Wohlstand nicht mehr halten könnte und unser soziale Friede gefährdet wäre.
(Georg Christoph Lichtenberg, 1742 – 1799, dt. Physiker) „Die Klugheit eines Menschen lässt sich aus der Sorgfalt ermessen, womit er das Künftige oder das Ende bedenkt."
Auch unsere Vorfahren sind zu ihrer Zeit vor solch wegweisende Herausforderungen gestellt worden. Welchen Weg hätten sie mit ihrem Kampfgeist eingeschlagen? Auf Stur schalten und sich abschotten? Oder hätten sie die Vogelstrausspolitik des "Kopf in den Sand stecken" angewendet und einfach abgewartet wie sich die Welt um sie herum entwickelt? NEIN, denn unsere Geschichte lehrt uns, dass wir immer dann erfolgreich waren, wenn wir Entwicklungen voraus erkannt haben, wenn wir in Freundschaft mit der globalen Welt Kompromisse geschlossen haben, aber dabei immer unsere Werte und unsere Souveränität als neutraler direktdemokratischer Staat bewahrt haben.
(Gjergj Perluca, 1944*, albanischer Physiker) „Wer die Signale eines Kompromisses nicht erkennt, läuft Gefahr, den Frieden zu verpassen."
Nun hören wir oft, dass bei einem künftigen Marktzugangsabkommen mit der EU unsere Unabhängigkeit verloren geht. Man hört Propaganda-Schlachtrufe wie "EU Gesetze werden über die Schweizer Gesetze gestülpt", oder "EU-Richter werden auf Schweizer Boden künftig sagen was Recht oder Unrecht ist". Jene die das immer noch behaupten wissen selbst, dass dies erstunken und erlogen ist. Sie kennen die aktuellen Verhandlungsergebnisse mit der EU und müssten eigentlich zur Kenntnis nehmen, dass die Schweiz mit dem Kampfgeist unserer Vorfahren sich als eidgenössischer Sonderfall in Europa für gangbare Kompromisse durchsetzen konnte. Bei solch bewusst gestreuter Fehlpropaganda tun wir gut daran uns an die Worte unseres Schweizer Schutzpatrons Niklaus von Flüe zu erinnern, der da immer wieder sagte: "Seid wachsam!"
Was also ist Fakt? In nur gerade einmal fünf Bereichen sollten wir vor allem in unserem eigenen Interesse künftig aufgrund wirtschaftlicher Entwicklungen neue Verordnungen dynamisch übernehmen, an deren Ausarbeitung wir auch ohne EU-Mitglied sein zu müssen, mitwirken können. Zugestanden wird uns auch, dass wir bis zu drei Jahren Zeit bekommen, um innerhalb unseres verfassungsrechtlichen direktdemokratischen Prozesses über betroffene Gesetzesänderungen auch Nein sagen können, werden dann aber von den Vorzügen der einzelnen Regelungen und Marktzugänge ausgeschlossen sein. Wir sind also weit weg von EU-Gesetzen, welche uns übergestülpt werden.
Auch im Streitfall werden es nicht fremde Richter sein, welche über unsere Gesetze beschliessen. Ein Schiedsgericht, wo die Schweiz und die EU gleichwertig vertreten sein sollen, wird entscheiden, ob allenfalls EU-Recht oder Schweizer-Recht verletzt wurde. Dazu kann das Schiedsgericht je nach Zuständigkeit den Europäischen Gerichtshof oder das Schweizer Bundesgericht zur Rechtsauslegung beiziehen. Klar ist, dass so wenig wie wir akzeptieren würden, dass fremde Richter über unsere Gesetze bestimmen, auch die EU-Mitgliedstaaten nicht akzeptieren, dass ein Schweizer Gericht über deren Gesetze bestimmt. Also ist die Lösung mit einem Schiedsgericht für die EU eine grosse Kröte, welche sie bereit ist zu schlucken, was wir im umgekehrten Sinne wohl nicht bereit gewesen wären. Denn man darf nie vergessen, beim bilateralen Weg geht es mehrheitlich darum, dass wir uns im Binnenmarkt EU mit allen Vorteilen frei bewegen wollen, und dies ohne Mitglied zu sein und ohne die vollen Kosten dafür bezahlen zu müssen.
Tragen wir Sorge zu unserer Heimat !
Wer unsere Heimat liebt, der baut Brücken und nicht Fallgruben. Heimat muss uns viel wert sein. Denn sie bedeutet Familie, Geborgenheit, Fürsorge und die Möglichkeit sich individuell entfalten zu können. Heimat ist viel mehr als nur materielle Werte. Heimat ist die Sicherheit und der Anker, im eigenen Leben und in dieser Welt nicht unter zu gehen. Es lohnt sich, dieser Heimat Sorge zu tragen, auch wenn wir alle persönlich etwas von unserem eigenen Hab und Gut dazu beisteuern müssen. Heimat ist nicht einfach Gott gegeben. Sie muss wie eine Lebenspartnerschaft immer wieder neu erfunden und errungen werden. Echte Heimat nimmt Platz in unseren Herzen und braucht keine Worte um ein Zusammenleben zu erklären oder damit einverstanden zu sein.
(Karl Jaspers (1883-1969), dt. Philosoph) „Heimat ist da, wo ich verstehe und wo ich verstanden werde."
Gott beschütze unsere Heimat Schweiz!